Übergewicht und Kinderwunsch
09. September 2022Übergewicht und Adipositas stellen, insbesondere in westlichen industrialisierten Gesellschaften, ein zunehmendes Problem dar.
In den Print- und sozialen Medien werden immer häufiger Beiträge veröffentlicht, die auf die zunehmende Gefährdung durch eine Fehlernährung bei gleichzeitig mangelnder körperlicher Aktivität sowie auf eine medizinische Unterversorgung adipöser Menschen hinweisen. Folgeerscheinungen wie beispielsweise vermehrte Blutzucker- und Herzkreislauferkrankungen führen zu einer erheblichen Belastung der Gesundheitssysteme.
Body-Maß-Index – Maßstab zur Unterteilung von Gewichtsklassen
Ein Maßstab zur Einschätzung des Körpergewichtes stellt der Body-Maß-Index (BMI) dar. Dieser 1869 erstmals beschriebene Quotient errechnet sich aus der Körpergröße in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Meter zum Quadrat. Ein BMI von 18,5 – 24,9 gilt als Normgewicht. Werte von 25-30 gelten als übergewichtig und ab >30 als adipös. BMI-Werte von >40 beschreiben eine „extreme Adipositas“.
Die WHO hat den BMI als Maßstab zur Beschreibung unterschiedlicher Gewichtsklassen gewählt, da er leicht zu ermitteln ist und da ein BMI-Wert von >30 einen guten Grenzwert zur Identifizierung möglicher gesundheitlicher Risiken darstellt. Dieser Index hat jedoch auch „Schwächen“, da er weder die individuelle Körpergröße bei fettfreier Körpermaße (z.B. bei einem kräftig gebauten 1,95m großen Sportler) noch das Fettverteilungsmuster (Körperstamm vs. hüftbetonte Adipositas) berücksichtigt. Eine stammbetonte Fettverteilung geht mit einem höheren Risiko für Folgeerkrankungen einher.
Nach aktuellen Daten des statistischen Bundesamtes waren 2019 61% der Männer und 47% der Frauen in Deutschland übergewichtig. Der Anteil adipöser Frauen lag in Deutschland 2017 bei 14,6%. Bei 1,6% aller Frauen in der Altersgruppe zwischen 18 und 39 Jahren lag der BMI bei einem Wert >40.
Fettgewebe ist hochaktiv
Das Gewicht hat einen großen Einfluss auf die Hormonsysteme des menschlichen Körpers, insbesondere auf die Geschlechtshormone. Ein „normales“ Körpergewicht geht in der Regel mit einem normalen, also regelmäßigen Menstruationszyklus einher. Sowohl ein Unter- als auch ein Übergewicht können zu einer Störung der hormonellen Regelkreise führen.
Das hormonell hochaktive Fettgewebe schüttet Botenstoffe, sogenannte Adipokine, aus. Zu den bekanntesten gehört das Leptin. Ein zu hoher Leptin-Spiegel kann im Hypothalamus, dem Pulsgenerator des weiblichen Zyklus, eine hemmende Wirkung entfalten.
Zudem ist Fettgewebe in der Lage „männliche“ Hormone in Östrogen umzuwandeln. Schließlich schütten Fettzellen sogenannte proinflammatorische Zytokine aus. Diese führen im Körper über eine Erhöhung der freien Radikale zu oxidativem Stress und in der Folge zu einer sogenannten „Pseudoentzündung“.
Bei übergewichtigen oder adipösen Patient:innen kommt es häufig zu einer Erhöhung der Insulinausschüttung und zu einer sogenannten Insulinresistenz. Insulin, welches der Körper zur Senkung des Blutzuckerspiegels ausschüttet, kann über eine direkte Wirkung am Eierstock zu einer vermehrten Ausschüttung männlicher Hormone führen.
Alle diese Pathomechanismen haben die unterschiedlichsten Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit beider Geschlechter.
Bei Frauen kann ein Übergewicht bzw. eine Adipositas zu Störungen des Hormonhaushaltes, des Zyklus, zu einer Abnahme der Eizellqualität sowie auch zu Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut führen.
Bei adipösen Männern zeigen sich gehäuft Störungen im Hormonhaushalt, welche zu einer Abnahme der Libido sowie zu einer Einschränkung der sexuellen Funktion führen können. Eine Erhöhung der Temperatur im Hoden sowie eine Zunahme des oxidativen Stressniveaus bedeuten ein erhöhtes Risiko für eine Einschränkung der Spermienqualität
Adipositas und Fruchtbarkeit
Studien haben gezeigt, dass adipöse Frauen eine geringere Schwangerschaftswahrscheinlichkeit pro Zyklus aufweisen und dass die Zeitspanne bis zum Eintritt einer Schwangerschaft im Vergleich zu Normgewichtigen verlängert ist. Häufig liegt bei diesen Patientinnen ein Polyzystisches Ovar-Syndrom vor.
Eine Untersuchung von ca. 490.000 IVF/ICSI-Zyklen in den USA ergab, dass mit zunehmendem Gewicht sowohl die Schwangerschafts- als auch die Lebendgeburtenraten abfielen, was auf eine Zunahme des Fehlgeburtsrisikos schließen lässt.
Weitere Studien, welche die Befruchtungs-, Schwangerschafts- und Fehlgeburtsraten nach einer künstlichen Befruchtung in Bezug auf das Gewicht des männlichen Partners untersuchten, kamen zu gleichen Ergebnissen. Somit kann auch das Übergewicht der männlichen Partner einen negativen Einfluss auf den Erfolg von Kinderwunschbehandlungen haben.
Adipositas und Schwangerschaft
Bei der Beratung im Rahmen eines unerfüllten Kinderwunsches sollte das Augenmerk nicht nur auf die Kinderwunschbehandlung selbst, sondern ebenso auf eine zukünftige Schwangerschaft und die damit für Mutter und Kind verbundenen Risiken gerichtet werden.
Denn Ziel all unserer Bemühungen ist die Erfüllung eines (Kinder-) Wunsches nach einer möglichst komplikationslosen Schwangerschaft und Geburt eines gesunden Kindes.
In umfangreichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass adipöse Frauen deutliche erhöhte Risiken für das Auftreten sogenannter feto-maternaler (das ungeborene Kind und die Mutter betreffende) Erkrankungen aufweisen. Zu diesen Komplikationen zählen beispielsweise ein schwangerschaftsassoziierter Diabetes und Bluthochdruck, eine Präeklampsie (umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftung) oder auch erhöhte Fehlbildungsrisiken bzw. auch Frühgeburtlichkeit oder Komplikationen während der Geburt.
Kindliche Fehlbildungen treten ab einem BMI von >30 doppelt bis dreimal häufiger auf als bei Normalgewichtigen. Das Risiko einer Patientin mit einem BMI >40 im Rahmen einer Schwangerschaft einen Bluthochdruck oder Diabetes zu entwickeln ist um das ca. 3,2 bis 4-fache, das Risiko für eine Präeklampsie sogar auf das 4,8-fache erhöht.
Die Betreuung einer adipösen Patientin in der Schwangerschaft stellt für den behandelnden Gynäkologen eine Herausforderung dar, da auch die Genauigkeit von beispielsweise Ultraschalluntersuchungen eingeschränkt sein kann.
Langzeitfolgen für die Kinder
Sowohl das Gewicht vor Eintritt, als auch eine übermäßige Gewichtszunahme während einer Schwangerschaft gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Übergewichtes des Kindes einher.
Auch Studien an Adoptivkindern konnten einen Zusammenhang zwischen der Gewichtsentwicklung und der Herkunftsfamilie aufzeigen.
Daher wird empfohlen Kinder von Müttern mit präkonzeptionellem (vorschwangerschaftlichem) BMI >25 sorgfältig im Hinblick auf deren Gewichtsentwicklung zu beobachten.
Präkonzeptionelle Beratung und Betreuung
Untersuchungen konnten zeigen, dass durch eine Gewichtsabnahme von ca. 5% nach einer sogenannten Lifestyle-Intervention, also einer Kalorienreduktion in Kombination mit einem moderaten Training, zu einer signifikanten Regulierung der Menstruationszyklen und zu einer Erhöhung der spontanen Konzeptionsrate führt. Hierbei scheint die Art der Diät keine entscheidende Rolle zu spielen, solange sie zu einer Reduktion des Ausgangsgewichtes führt. Fast noch relevanter als die Erhöhung der Schwangerschaftswahrscheinlichkeit ist die Reduktion der kindlichen Risiken.
In manchen Fällen kann bei extremer Adipositas und nach frustranen Versuchen der Gewichtsreduktion auch eine sogenannte bariatrische Operation (z.B. ein Magenbypass) sinnvoll sein. Diese Eingriffe führen in ca. 70% innerhalb von 12 Monaten zur Gewichtsreduktion. Allerdings soll eine Schwangerschaft frühestens 2 Jahre nach einem solchen Eingriff angestrebt werden.
Fazit
Übergewicht und Adipositas reduzieren die Schwangerschaftschancen und erhöhen sowohl Schwangerschaftsrisiken für Mutter und Kind als auch das kindliche Risiko im Laufe seines Lebens ebenfalls ein Übergewicht zu entwickeln. Eine Gewichtsreduktion sollte noch vor Schwangerschaftseintritt erfolgen.
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